Kreuzigung

Bildbetrachtung von Klaudia Weinreich, Acryl auf Leinwand, Maße: 2 x 1,00m x 1,20m

Bei diesem modernen Werk handelt es sich um ein Diptychon, ein zweiteiliges Bild. Das Diptychon wurde vor allem in der Zeit der Renaissance verwandt, als die gemalten Bilder häufig über lange Strecken transportiert werden mussten, so z.B. Portraitmalereien. Um das Dargestellte nicht zu beschädigen, wurden zwei Teile gemalt, die zusammengeklappt werden konnten und sich so gegenseitig schützten.

Zu sehen ist jeweils eine Zweiteilung des Bildes in eine weinrote und eine weiße Fläche.
Zum einen sind in groben Pinselstrichen gemalte, leuchtend grün-gelbe Füße zu sehen, die raumnehmend von oben kommend und sich überkreuzend in die weiße Fläche ragen. Zum anderen sind großformatige Hände sichtbar, die aus der weißen Fläche kommend in die weinrote Fläche ragen. Die Hände sind den Betrachtenden zugewandt, die Finger einer Hand gestreckt, die Finger der anderen Hand in Anspannung gekrümmt.
Sowohl formal als auch farblich wird eine minimalistische Darstellungsweise gewählt. Es werden nur drei Farben verwandt, Weiß, Weinrot, Grün und davon nur eine in verschiedenen Tönungen.
Die Farbe Weiß steht in der kunstgeschichtlichen Tradition als Symbol für Reinheit und Unschuld, deshalb wird Christus traditionell mit weißem Gewand dargestellt. In diesem Werk wird nicht nur die Symbolfarbe Weiß verwandt, sondern die Farbe Weiß als Material: Weiß hat keine Farbpigmente und ist somit keine Farbe - Eine Nichtfarbe - ein Nichts? Dagegen entsteht weißes Licht nur dann, wenn alle Lichtfarben gebündelt sind. Alle Lichter zusammen ergeben erst weißes Licht. D.h., die Farbe Weiß erzeugt ein Spannungsfeld zwischen „Alles" oder „Nichts", symbolisiert hier die „absoluten" Möglichkeiten, jene, die nicht gebunden sind an die zeiträumlichen Bedingtheiten. In diesem Weiß sind vor allem die Füße dargestellt.
Die leuchtende Farbe Weinrot, steht, wie Lila, für Leiden und Passion. Sie ist Symbol für das Leiden Christi, aber auch das Leiden der Menschen generell. Das private Leiden an dem eigenen So-Sein, das Leiden in den Familien, im Alltag, im Beruf, aber auch das Leiden an den Strukturen, an Krieg, Terror und Not in dieser Welt. In dieses Leid ragen grüne Hände.
Die Gestalt, dargestellt als Füße und Hände, gründet in der transzendenten Potentialität -im „Alles", und es reicht hinein in die immanente Begrenztheit - in das Zeitlich-Räumliche.
Die Hände sind nicht mehr nehmend oder gebend, sie erscheinen hilflos und erinnern an Stigmatisierungs-darstellungen in der kunstgeschichtlichen Tradition. So lässt sich eine Erinnerung an das Kreuzigungsgeschehen ahnen - die Kreuzigung als menschliches Nein auf göttliche Liebe.
In diesem Werk scheint keine Hilfe von dieser Gestalt erwartet werden zu können: Sowohl die fast schon aufdringlich minimalistische Darstellungsweise als auch die Überkreuzung der Füße und die fast krampfartig geöffneten Hände betonen die Reduzierung des inhaltlichen Geschehens plakativ.
Und dennoch ist neben dem Vergehen, neben dem Sterben, dem schlußendlichen „Loslassen-Müssen" Hoffnung dargestellt: Das Grün leuchtet aus der Potentialität herauskommend -wiederum plakativ - in das Weinrot hinein. Grün, die Farbe steht für Hoffnung, eine Hoffnung, die besonders vor dem Weiß zu leuchten beginnt und vor dem Weinrot geradezu Schmerz erzeugt: Eine Hoffnung, die ins Leid reicht, die auch dann da ist, wenn alles zu Ende zu sein scheint, wenn das Gefühl von Hilflosigkeit, Ausweglosigkeit sich drückend in den Vordergrund drängt. Eine Hoffnung, die sich nicht vom Leid zudecken lässt, ein Grün, das weder vom Weinrot übermalt ist, noch sich seine Leuchtkraft nehmen lässt - im Gegenteil, ein Grün, das seine Leuchtkraft erst im Kontrast ganz entwickelt.
Das Bild erzählt von dem Angebot der Teilhabe der in ihren Begrenztheiten gefangenen Menschen an den unendlichen Möglichkeiten Gottes. Dies lässt sich an der fast aufdringlich minimalistischen Konzeption des Werkes nachvollziehen.
Hände, die scheinbar nicht-gebend Hoffnung spenden, Füße, die scheinbar nicht „laufend" in der absoluten Möglichkeit gründen. Es finden sich die Fragen formuliert: Woran und warum glauben wir? Worauf setzen wir unser Vertrauen, wo und wie „verorten" wir uns in unserem Leben?

Abschließend beantwortet werden diese Fragen im Bild nicht. Stattdessen findet sich der Verweis auf die Hoffnung, damit verbunden schließlich auf das, was wir zu glauben in der Lage sind - die Hoffnung ragt in das Leid - und leuchtet.